GASTBEITRAG in der RHEINISCHEN POST

Düsseldorf, 14.04.2020

Genossenschaft als Modell für die Kultur

Von den Impulsen der Kultur profitieren alle, erst recht nach der Corona-Starre. Kulturpolitik ist daher auch Gesellschaftspolitik.

Beim Geld hört die Freundschaft bekanntlich auf. Und um Geld ging es in den letzten Wochen auch im Kulturbereich fast ausschließlich. Bund und Land NRW stellten Soforthilfen zur Verfügung, unbürokratisch und von gutem Willen getragen. Das war eindrucksvoll. Weil es ein starkes Zeichen der Wertschätzung gesetzt hat mit der klaren Botschaft: Kultur ist systemrelevant! So existentiell die Geldfragen auch sind, so wichtig ist jedoch, dass hierüber kein anhaltender Verteilungskampf ausbricht, der den Blick auf drängende Fragen verstellt.

Schauen wir in die Zukunft und starten eine unvoreingenommene Debatte darüber, wer welchen Beitrag zu einem neuen, vitalen Kulturleben der Zukunft leisten und welche Chancen aus der Krise für die Düsseldorfer Kultur erwachsen könnten? Erste Bestandsaufnahmen zeigen: Im Strudel der Krise zählen freie, gemeinnützige und nicht-öffentlich finanzierte Einrichtungen zu den Verlierern. Diejenigen, die schon in guten Zeiten kämpfen müssen. Die aber als Gegenpole zu den institutionell geförderten für ein lebendiges Kulturleben unverzichtbar sind. Ihre Not macht erfinderisch: Wer seiner Zielgruppe ein digitales Angebot macht, bleibt im Gespräch, kann experimentieren und trotz räumlicher Distanz persönliche Bindung zum Besucher schaffen. Ein wichtiges Pfund, weil Kultur Beziehungsmanagement ist. Auch im administrativen Bereich kann die Digitalisierung der Organisation von Kultur unter die Arme greifen. Hier lautet das Zauberwort: Open Source, was für offene Software steht. Maximal demokratisch, weil unabhängig von kommerziellen Anbietern geschlossener Softwaresysteme. Wer als Kulturanbieter bewusst Open-Source-Software einsetzt, möchte, dass dadurch offene Diskursplattformen entstehen, die von ihm selbst und seinen Besuchern unbegrenzt genutzt und permanent weiterentwickelt werden können. Geeignet für kleine wie große Einrichtungen. Wissenstransfer, offener Erfahrungsaustausch, gemeinsames Lernen, agile Steuerungsmethoden, kollaboratives Arbeiten stünden plötzlich gleichwertig neben analogem Museums-, Opern- oder Clubbesuch. Digital Culture als fester Bestandteil kultureller Bildung. Hier hat die Kultur massiv Nachholbedarf.

Auch Politik und Verwaltung könnten die Krise nutzen. Als Impulsgeber für überfällige Veränderungen. Warum nicht zügig Rechtsträgerwechsel vornehmen, wenn Angebote dadurch besser gesichert werden können? Warum nicht manche starren Zuwendungsrichtlinien flexibilisieren, um bedarfsorientiert Förderkulissen zu sichern? Warum nicht gerade jetzt ein strategisches Konjunkturprogramm für Kulturbauten anschieben, von dem die heimische Baubranche profitiert, auf deren Gewerbesteuereinnahmen Düsseldorf dringend angewiesen ist?

Will man kleine wie große Kultureinrichtungen nach der Krise in ihrer Leistungsfähigkeit dauerhaft stärken, könnte eine Genossenschaft ein kluges Modell sein. Deren Mitglieder würden Teil einer genossenschaftlich organisierten Service-Plattform und erhielten Zugriff auf Dienstleister, die in den Bereichen Einkauf, Vertrieb, Marketing und Digitales für alle Mitglieder die besten Angebote und damit optimale Synergien schaffen könnten. Ergebnis wären enorme Effizienzgewinne und neue, hilfreiche Netzwerke. Zudem mehr Selbstorganisation in proaktiven Verantwortungsgemeinschaften. Künstler könnten sich wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren, bürokratische Routinen hinter sich lassen und ihre Innovationspotentiale im Verbund mit Gleichgesinnten heben. Nebenbei würden dauerhafte, disziplinübergreifende Arbeitsgemeinschaften entstehen. Viele erinnern sich mit einem Schmunzeln daran, wie sich honorige Kulturakteure im Rahmen der Kulturentwicklungsplanung teils erstmalig in gemeinsamen Diskussionsrunden wiederfanden. Was blieb davon übrig? Genau hier sollte wieder angesetzt werden. Mit regelmäßigen, bedarfs- und ergebnisorientierten Gesprächsformaten. Aber anders als damals interdisziplinär, agil, kollaborativ, transformativ und experimentell. Kultur als Motor der Stadtgesellschaft berät Stadtplaner und Quartiersmanager, lernt von Energiemanagern und Klimaforschern, bringt sich in wirtschaftspolitische Diskurse ein und gibt dem Tourismus Impulse. Maximal engagiert und gestaltungsfreudig, diskursoffen und selbstkritisch, unvoreingenommen und lösungsorientiert.

So ließen sich die Corona-Starre in Dynamik und Risiken in Chancen verwandeln, um heute der Krise neue Utopien und Visionen für eine moderne Stadtgesellschaft von morgen abzutrotzen. Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik wäre plötzlich gelebte Realität. Und das im Brennglas einer Kommune. Wie ein Zukunftslabor. Das fände ich erstrebenswert. Weil es Wissen teilt und alle einbezieht. Weil es die Kultur demokratisiert und anschlussfähig macht. Weil von den Impulsen der Kultur am Ende alle profitieren. 

Autor Hagen W. Lippe-Weißenfeld ist Vorstand der Kulturpolitischen Gesellschaft und Geschäftsführender Gesellschafter der Kulturberatung Projektschmiede.